Laut Johann Wolfgang von Goethe ist ein Sammler ein glücklicher Mensch. Goethe musste es eigentlich wissen, war er doch selbst ein leidenschaftlicher Sammler, dessen Kunstsammlung allein um die 26.000 Objekte betrug, daneben sammelte er Autografen, Bücher, Steine, Fossilien, Münzen u.v.a.m. Sigmund Freud hatte eine gegensätzliche Einschätzung des Sammelns, das er eher für ein krankhaftes Verhalten, eine Art Ersatzhandlung, hielt. Er musste es eigentlich auch wissen, denn er sammelte nicht weniger leidenschaftlich als Goethe. Und auch seine Kollektion war umfangreich und vielfältig und enthielt Antiken, Statuetten, Skarabäen, Ringe u.a.
Unabhängig davon, ob wir Exlibris-SammlerInnen und unsere Umwelt durch unsere langjährige jagende und sammelnde Tätigkeit glücklicher oder angespannter geworden sind, ist das Gründungsblatt, das der Bremer Grafiker Ernst Grünewald anlässlich der Gründungstagung des Deutschen Exlibris-Vereins vor genau 70 Jahren geschaffen hat, eine sehr schönes und gelungenes Bild für das, was die Mitglieder dieser Vereinigung bis heute eint.
In der Mitte des recht großen Blattes steht hoch aufgerichtet ein Sammler, der ein Exlibris gegen das Licht hält und sich sogar noch mit der Lupe darin vertieft und verliert. Dass um ihn herum ein rauer Wind weht, der seine Sammeltasche fast wegtreibt, tangiert ihn nicht. Er ist ein glücklicher Sammler.
Betrachtet man das Blatt genauer und bezieht das Datum, also den 15. Oktober 1949, mit ein, dann erschließen sich auf dem auf den ersten Blick einfachen Holzschnitt viele bedenkenswerte und berührende weitere Aspekte.
Denn wo steht der Sammler da? Inmitten einer Stadt, sozusagen auf deren Hauptplatz. Die Stadt ist kreisförmig mit ihren Fronten zum Hauptplatz hin aufgebaut und der Schriftzug der Widmung umgibt sie wie eine zusätzliche Schutzmauer. Ob Grünewald mit dieser Stadt Bremen, seine Heimatstadt, oder Frankfurt, die Gründungsstadt des Vereins, vor Augen gehabt hat, weiß man nicht genau, aber genau weiß man, dass beide Städte im Zweiten Weltkrieg stark zerstört wurden und 1949 nicht die geringste Ähnlichkeit mit dieser stilisierten altdeutschen Idylle aufwiesen. Und wenn man den Sammler ein weiteres Mal genau ins Augenmerk nimmt, dann fällt auf, dass er sehr mager ist, dass seine Kleidung recht dünn und verschlissen wirkt und dass sein linker Fuß aussieht, als habe er eine Verletzung erlitten.
Ist es das, was Ernst Grünewald, selbst im Krieg verwundet, den Tagungsteilnehmern mitteilen will? Dass das Sammeln auch dabei hilft, Gutes, Glückliches wieder entstehen zu lassen? Vielleicht auch Kraft zum Neuanfang, Wiederaufbau gibt?
Die Lateiner hätten das Blatt vielleicht mit dem Titel Per aspera ad astra versehen, was ausdrücken will, dass man durch raue und quälende, mühsame Wege zu den Sternen gelangt – und die stehen um Grünewalds Sammler herum …
(Ulrike Ladnar)